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  | 29.02.2016

«10 Meter Schnee sind kein grosses Hindernis» – Winterforschung im Felslabor Grimsel

Im Nagra-Felslabor Grimsel wird das ganze Jahr über geforscht. Selbst dann, wenn sich der Schnee meterhoch auf der Passstrasse türmt und diese gesperrt ist. Das Labor liegt tief im Granit der Alpen, aber Jahreszeiten beeinflussen den Forschungsbetrieb praktisch nicht. Mit wenigen Ausnahmen…

In den Schweizer Felslabors Grimsel (Kanton BE) und Mont Terri (Kanton Jura) wird an der sicheren Entsorgung der radioaktiven Abfälle geforscht. Sie stehen auch Besuchern offen – Mont Terri mit Ausnahme der Sommerpause das ganze Jahr über, Grimsel von Frühsommer bis Spätherbst. Im Winter erschwert Schnee den Zugang zum Felslabor Grimsel (Lageplan). Es liegt in den Alpen, unweit der Grimsel-Passstrasse, auf rund 1730 Meter über Meer, 450 Meter untertage im Granit beziehungsweise Granodiorit des Aarmassives, am Zugangsstollen zu den Kraftwerksanlagen Grimsel 1 und Grimsel 2 der Kraftwerke Oberhasli (KWO).

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Die Grimsel-Passstrasse liegt unter einer dicken Schneeschicht und wird vereinzelt von Tourenskifahrern genutzt. Bild: Nagra.

Kein Winterschlaf im Felslabor Grimsel

Der Forschungsbetrieb im Felslabor Grimsel nimmt auf das Wetter keine Rücksicht und läuft auch im Winter weiter. Die Experimente lassen sich nicht einfach im Herbst unterbrechen und im Frühjahr fortsetzen. Damit realitätsnahe Bedingungen aufrechterhalten und aussagekräftige Resultate erzielt werden können, müssen beispielsweise bei gewissen Experimenten pausenlos Heizelemente laufen. Diese simulieren die Abgabe der Nachzerfallswärme verbrauchter Brennelemente. Auch im Korrosionsexperiment «Material Corrosion Test» (MaCoTe) werden sie benötigt. Dort wird untersucht, wie schnell (oder eher langsam) verschiedene potentielle Behältermaterialien wie zum Beispiel Karbonstahl oder kupferbeschichteter Stahl korrodieren. Eine Versuchsreihe wird mit geheizten Proben und eine andere ohne Heizung durchgeführt. Obwohl es Experimente sind, die über eine längere Zeit laufen, muss ab und zu ein Blick darauf geworfen werden. Zudem benötigt auch die Infrastruktur des Felslabors Unterhalt.

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Hans Abplanalp (rechts) entnimmt aus der Stollenwand im Felslabor Grimsel einen Bohrkern. Bild: Comet Photoshopping, Dieter Enz

Abenteuerlicher Arbeitsweg: wenn Sturmwinde toben und Lawinen niedergehen

Für den ganzjährigen Unterhalt des Felslabors Grimsel ist aktuell eine vierköpfige Besatzung zuständig. Hans Abplanalp, der Gemeindepräsident von Guttannen, gehört auch dazu. Er ist ein alter Hase. Seit 32 Jahren kommt er zu seinem Arbeitsplatz im Felslabor – am liebsten mit seinem Rennrad von Guttannen her bis zur Gerstenegg, dem Eingang zum Zugangsstollen. Was aber, wenn Schnee liegt und die Passstrasse zu ist? «Wir dürfen im Winter die Luftseilbahn der KWO mitbenutzen», antwortet Hans Abplanalp und weist darauf hin, dass es sogar eine Stollenbahn gebe, mit der man zur Talstation Handeck gelangen könne, falls die Strasse von Guttannen her wegen Lawinengefahr gesperrt sei. «Bei Sturmwinden stellt die Luftseilbahn den Betrieb ein», gibt Abplanalp zu bedenken, «aber dank des Wetterwarndiensts der KWO können wir dann normalerweise die Fahrt früher antreten und müssen nicht ausharren.» Zu Stosszeiten, wenn die Kollegen der KWO ebenfalls unterwegs sind, könne es auch mal ganz schön eng werden, insbesondere in der Stollenbahn. Diese sei nicht so geräumig und viel mehr als ein Rucksack solle man dann nicht dabei haben.

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Im Winter ist das Felslabor Grimsel nur über die Luftseilbahn Handeck-Gerstenegg erreichbar. Ein Winterzugangsstollen zur Gerstenegg ist in Bau. Bild: Nagra

 

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Bei Lawinengefahr, wenn die Strasse von Guttannen her gesperrt ist, stellt die Stollenbahn den Zugang zur Talstation Handeck der Luftseilbahn sicher. Bild: KWO / Foto R. Bösch

 

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Von der Luftseilbahnstation Gerstenegg aus gelangt man über wenige Treppenstufen zum Zugangsstollen zu den Kraftwerksanlagen. Über diesen erreicht man auch das Felslabor. Bild: Nagra

Vom Bürostuhl aus den vollen Überblick haben

Ein Felslabor ist nicht mit einem typischen Chemie- oder Biologielabor vergleichbar. Forscher trifft man im Felslabor nur sporadisch an. «Unzählige Sensoren zeichnen alle wichtigen Parameter eines Experiments auf», erklärt Hans Abplanalp. «Die Forscher können vom Bürostuhl aus via Internet auf die Messdaten zugreifen und haben so jederzeit den vollen Überblick – selbst von Spanien aus». Es würde auch gar keinen Sinn machen, wenn die Forscher täglich neben ihrem Experiment stehen würden, denn letztere dauern Jahre oder Jahrzehnte und Änderungen verlaufen in der Regel nur sehr langsam.

Vorausschauend planen ist wichtig

Hochbetrieb herrscht im Felslabor normalerweise nur, wenn ein neues Experiment eingebaut oder ein altes wieder ausgebaut wird. Dann wimmelt es von Forschern und Technikern und es werden grössere Mengen an Materialien verschoben: Säcke voller Bentonit, riesige Metallteile, Mulden voller Ausbruchsmaterial… All das muss im Felslabor angeliefert oder abtransportiert werden.
Mit der Luftseilbahn liessen sich zwar bis zu einer gewissen Grösse und Menge auch Waren befördern, doch das sei umständlicher. «Ein Transport auf der Strasse ist viel einfacher», sagt Abplanalp. Grössere Arbeiten würden somit vorzugsweise in den Sommermonaten durchgeführt. Dies erfordere eine vorausschauende Planung der Arbeiten.

Arbeiten ohne Tageslicht

Für den Betrieb des Felslabors spielt es somit gar keine grosse Rolle, welche Jahreszeit draussen ist und ob 10 Meter Schnee liegen. Für den Mensch aber irgendwie schon. Verantwortlich ist dafür zum einen die trockenere Luft, die im Winter, im Felslabor herrscht. «Wenn Du nicht ausreichend Wasser trinkst, hast Du am Abend Kopfweh», merkt Abplanalp an. Zum anderen geht es aber auch um das Tageslicht. «Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich tagsüber auf der Arbeit nur Kunstlicht habe», sagt er: «Doch im Winter ist es schon speziell: Im Stollen den ganzen Tag Kunstlicht und wenn du aus dem Stollen rauskommst, ist es dunkel.» Er geniesse dann an den Wochenenden umso mehr beim Tourenskifahren die Sonne.
Hat das Arbeiten im Winter sonst keine weiteren Auswirkungen auf den Körper? Hans Abplanalp lacht verschmitzt. «Normalerweise nicht.» Normalerweise? «Wir sagen den wenigen Gäste, die wir im Winter im Felslabor empfangen, dass sie wintertaugliche Kleider und Schuhe anziehen müssen», erzählt Abplanalp: «Vor vielen Jahren ist eine Frau trotzdem in High Heels aufgetaucht.» Wegen Windböen habe die Luftseilbahn dann unterwegs nicht weiterfahren können und alle Fahrgäste hätten sich abseilen müssen. «Sie musste dann halt mit den High Heels ein gutes Stück weit durch den Schnee laufen» resümierte Abplanalp. «Wir dürfen nie vergessen, dass wir in den Alpen sind und die Natur stärker als der Mensch ist!»

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