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  | 01.06.2017

Die Komplexität der Entsorgung im Fernsehen erklären

Bereits im Januar war der Münchner Journalist Christian Friedl in der Schweiz zu Gast, um über die Entsorgung radioaktiver Abfälle einen Beitrag für das Magazin Faszination Wissen im Bayrischen Fernsehen zu machen.

Der Physiker Friedl arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist und gehört zu den wenigen, die es immer wieder schaffen, die Zuschauerinnen und Zuschauer bis zu einer halben Stunde mit einem einzigen, noch dazu einem wissenschaftlichen Thema zu fesseln. Das ist in Zeiten sinkender Aufmerksamkeitsspannen nicht selbstverständlich. Es ist aber auch kein Zufall. Friedl erarbeitet ein Konzept (Treatment), das sich an die Vorgehensweise in Hollywood-Filmen anlehnt: Held, Problem oder Fragestellung, Vorgehen zur Problemlösung (häufig mit Schwierigkeiten verbunden, führt zu Spannungsaufbau), Auflösung oder Happy End.

Auto Xenius
Xenius, die Wissenschaftssendung von ARTE, berichtet über die Entsorgung radioaktiver Abfälle (Foto: Nagra).

Im Januar waren die «Helden» zwei Mitarbeitende der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die in Deutschland bei der Entsorgung involviert sind. Die BGR forscht auch in den beiden Schweizer Felslaboren Grimsel (Nagra) und Mont Terri (swisstopo). Anlass für den 29-minütigen Beitrag war das neue deutsche Gesetz zur Endlagersuche, das in Bezug auf Wirtgesteine den Fächer weit aufmacht. In Deutschland werden die Gesteine Granit, Tongestein und Salzgestein als Wirtgesteine für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle in Betracht gezogen. Kernstück des Beitrags, sind fünf einfache Versuche mit den verschiedenen Gesteinsarten, anhand derer man herausfinden will, welches Gestein sich am besten für den Bau eines Tiefenlagers eignet.

Drei Leute im Esperiment
Das Moderatorenteam Carolin Schaller und Gunnar Mergner nehmen Ingo Blechschmidt in die Mitte (Foto: Nagra).

Die Nagra war nicht sehr glücklich mit diesen Tests. Denn die Langzeitsicherheit eines geologischen Tiefenlagers ist von weit mehr abhängig als von einzelnen Eigenschaften des Wirtgesteins. Ein Tiefenlager ist ein komplexes Gebilde, bei dem die Geologie wichtig ist, man aber ausserdem die gesamtgeologische Situation betrachten und auch die technischen Barrieren einbeziehen muss, die eingesetzt werden. Christian Friedl hat dabei stets mit dem Herunterbrechen der Komplexität argumentiert. Und damit hat er natürlich recht. Es stellt sich einfach die Frage: Wie weit kann man ein komplexes, wissenschaftliches Thema herunterbrechen, so dass es immer noch wissenschaftlich richtig ist und der Zuschauende die komplexen Zusammenhänge versteht. Das Ergebnis der Sendung war übrigens: Keines der drei möglichen Wirtgesteine ist besser als das andere, alle drei sind geeignet für den Bau von Tiefenlagern, aber jedes hat neben Vorteilen auch Nachteile. Bei diesem Ergebnis waren der Wissenschaftsjournalist und wir ganz im selben Boot. Nachteile des Gesteins können mit technischen Barrieren kompensiert werden. Entscheidend für die Langzeitsicherheit ist am Ende das Gesamtsystem eines Tiefenlagers.

Christian Friedel Endlagermodell
Autor Christian Friedl kontrolliert, ob alles nach Plan läuft. Bei Bedarf wird der Text auch mal angepasst (Foto: Nagra).

Freie Journalisten leben von Zweitverwertungen. Im April kontaktierte Friedl uns wieder: Er möchte auf Basis des oben erwähnten Beitrags eine 26-minütige Sendung für die Wissenschaftssendung Xenius von ARTE machen. Durch die Sendung führen jeweils zwei Moderatoren, die sich ein Bild vor Ort machen. Es werden ganze Passagen der vorherigen Sendung übernommen, ausserdem werden neue Inhalte im Felslabor Grimsel über das Felslabor und das Schweizer Entsorgungskonzept gedreht: Dieses Mal kommt die Nagra durch den Leiter des Felslabors, Ingo Blechschmidt, zu Wort.

Team beim Dreh
Letzte Moderation am Ende eines langen Drehtags draussen vor dem Felslabor (Foto: Nagra).

Mit acht Personen reiste das Fernsehteam an: dem Autor Christian Friedl, einem Regisseur, einem Kameramann und einer Kamerafrau, einem Kameraassistenten, der für den Ton zuständig ist, den beiden Moderatoren und – einer Maskenbildnerin. Zwei Stunden vor Beginn des Drehs musste die Moderatorin Carolin Schaller in die Maske. Der Moderator Gunnar Mergner durfte erst frühstücken, dann hatte er Maske. Für Wissenschaftler tönt das ein bisschen wie aus einer anderen Welt. «Muss Herr Blechschmidt auch?» «Jaja, das ist HD, da kann man nicht ohne.» Also wurde auch er immer mal wieder zwischendurch gepudert.

Für einen Beitrag von 26 Minuten, von denen 15 schon fertig produziert waren, also faktisch noch elf Minuten zu füllen sind, brauchten wir am Ende sieben Stunden. Und das alles nur, weil es so hervorragend vorbereitet war. Jetzt heisst es, warten und gespannt sein, was am Ende herauskommt. Wir berichten Euch, wann der Beitrag auf Xenius gesendet wird, sobald uns der Sendetermin bekannt ist.


Kurzinterview mit Christian Friedl:

Autor Christian Friedel
Autor Christian Friedl (Foto: Nagra)

Was fasziniert Sie am Wissenschaftsjournalismus?

In der Schule waren meine Lieblingsfächer Deutsch und alles Naturwissenschaftliche. Als Beruf wollte ich das sozusagen mischen, also sowohl etwas mit der deutschen Sprache machen, als auch mit den Naturwissenschaften. Herausgekommen ist dann der Wissenschaftsjournalismus.

Warum berichten Sie immer wieder über die Entsorgung von radioaktiven Abfällen?

Weil es jeden angeht. Es geht dabei um gesellschaftliche Relevanz. Es müssen Länder, also ganze Gesellschaften, entscheiden. Und wie gut diese Entscheidungen sind, entscheiden Generationen in hunderttausenden Jahren! Es gibt kaum ein anderes Thema mit solcher Tragweite.

Hat sich Wissenschaftsjournalismus in den letzten 20 Jahren verändert?

Wissenschaftsjournalismus hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Einmal ist er besser, zum anderen aber auch schlechter geworden. Besser: Die Geschichten sind heute besser erzählt, d.h., die Dramaturgie der heutigen Berichterstattung ist deutlich besser. Die Wissenschaftsjournalisten haben aber zunehmend Angst davor, Themen aufzuarbeiten, die schwer vermittelbar sind. Das gilt vor allem für das Fernsehen. So gibt es kaum Geschichten zu Themen wie Urknall, Quantenmechanik oder Epigenetik, dafür umso mehr Geschichten zu leichten Themenbereichen. Wenn schon Physik, dann die Physik des Kochens etwa. Kurz: Früher war der Wissenschaftsjournalismus interessant (von den Themen her), aber nicht spannend (von der Erzählung her), heute ist es umgekehrt, er ist spannender, aber eben weniger interessant.

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