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  | 02.08.2016

Das Rütli, der Bundesbrief und die Entstehung der Schweiz

Die Legende verbindet mit der Rütliwiese im Herzen der Schweiz den Bund der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden sich gegenseitig Hilfe gegen fremde Herrscher zu leisten. Dies soll 1291 geschehen sein. Es verkörpert das urschweizerische Ideal von Selbstbestimmung, Selbstverteidigung und Demokratie. Das Rütli ist und bleibt Aufhänger, Dreh- und Ankerpunkt der nationalen Identität, denn die Schweiz versteht sich als „Willensnation“; sie bildet weder ethnisch, sprachlich noch religiös eine Einheit. Im Jahr 1860 kaufte die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft die Wiese und schenkte sie der Schweizerischen Eidgenossenschaft «als unveräusserliches Nationaleigentum».

rütliwiese Fresko: Rütlischwur in der Tellskapelle

Links: Rütliwiese geschmückt für den Nationalfeiertag; Rechts: der Rütlischwur, Fresko der Tellskapelle

1291 war ein Jahr unter vielen

Einigkeit über das Gründungsjahr bestand lange nicht. Das Thema kam Ende der 1880-er Jahre wieder aufs Tapet, als sich nämlich Bern, die neue Bundesstadt der modernen Schweiz, anschickte, 1891 den 700. Jahrestag ihrer Stadtgründung von 1191 zu feiern. Die katholischen Innerschweizer Kantone störten sich an der eigenmächtigen Feier in der reformierten Bundesstadt. Sie forderten auch eine nationale Gründungsfeier. Die Konkurrenz von gleich drei Gründungsjahren – 1291, 1307, 1315 – machte die Terminierung allerdings schwierig. Die Mehrheit der liberalen Kantone votierte schliesslich für Schwyz und 1291. Im inoffiziellen Auftrag des Bundesrates formulierte der Zürcher Historiker, Wilhelm Oechsli, 1891 die Entstehungsgeschichte der alten Schweiz neu und erklärte die Schwyzer Urkunde von 1291 zum «Stiftungsbrief der schweizerischen Eidgenossenschaft».

Violà! Aber wieso der 1. August?

Seit dem frühen 20. Jahrhundert ist das Jahr 1307 als Datum des Rütlischwurs immer mehr in den Hintergrund getreten und der 1889 begründete Schweizer Bundesfeiertag am 1. August – aufgrund der Datierung des Bundesbriefs von 1291 – setzte sich immer mehr durch. Seit 1994 ist der 1. August als Schweizer Nationalfeiertag gesamtschweizerisch auch zum arbeitsfreien Tag erhoben worden!

Rütliwiese und Seelisberg dahinter die Urner-Bergkulisse
Rütliwiese und Seelisberg dahinter die Urner-Bergkulisse

Auch für Geologen ist die Landschaft um die Rütliwiese ein Leckerbissen.

 

Zwischen Mythen, Fronalpstock und den Urner Alpen liegen Verwerfungen und Aufschichtungen aus der kontinentalen Frühzeit. Zu beiden Ufern des Urnersees lassen sich diese massiven Verbiegungen der Gesteinsschichten mit ihren Rissen und Klippen gut erkennen. Die Erdgeschichte erklärt sich hier ohne Worte, das genaue Hinsehen reicht! Wirklich?

Die ältesten überlieferten Zeichnungen zum Gebirgsbau des nördlichen Kantons Uri wurden vom angehenden Arzt Johannes Scheuchzer und dem italienischen Graf Luigi Fernando Marsigli angefertigt. Der berühmtere Bruder von Johannes Scheuchzer, der Universalgelehrte und Fossilienkundler Johann Jakob Scheuchzer übernahm die Darstellungen.

Die Deutung dieser Phänomene liest sich wie folgt:

„Das Zeugnis der Sünd-Fluth ist in die harteste Felsen eingeschrieben; Beschaue die in ordentliche Lager (Schichten) getheilte, und aus denselben gleichsam aufgebaute Berge, so sind sie augenscheinlich von irdischen Theilen entstanden, welche durch eine sehr hohe Wassersäule sich anfaenglich gesetzet, so dann aber wieder gebrochen und aufgehoben worden.“

Geologie des Urnersees von Johann Jakob Scheuchzer
Geologie des Urnersees von Johann Jakob Scheuchzer

Die gebankten Kalkablagerungen wurden richtigerweise als Ablagerungen in tiefem Wasser gedeutet, welche später verformt und gehoben wurden. Diese aus der Naturbeobachtung abgeleitete Interpretation wurde zu jener Zeit entsprechend der damaligen Weltanschauung in einen Zusammenhang mit der biblischen Sintflut gebracht.

Der Urnersee und das Rütli sind wahrlich mystische Orte!

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