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  | 19.01.2016

Wie die Entdeckung der Erdgeschichte unser Denken veränderte!

Was die moderne Geologie von den meisten anderen Naturwissenschaften unterscheidet, ist der historische Ansatz. Die Minerale könnte ein Chemiker klassifizieren, die Fossilien ein Biologe. Die Eigenschaften des Erdkörpers liegt im Bereich der Physik, seine Gestalt in der Geografie. Der Geologe stellt aber nicht nur die Frage: „Was ist das?“, sondern „Wie wurde es, was es ist?“

Im christlichen Europa nach dem Untergang des römischen Reichs wurde bis ins 18. Jahrhundert die Vorstellung von der Zeit ausschliesslich an die biblische Schöpfungsgeschichte geknüpft. Das bedeutete, dass Vergangenheit und Zukunft nur kurze Zeiträume darstellten. So gab es die populäre Berechnung des Bischofs Ussher aus dem 17. Jahrhundert, wonach die Erde am Abend vor dem 23. Oktober 4004 v. Chr. erschaffen wurde.

Erschaffung und Verbannung aus dem Paradies Giovanni di Paolo © Creative Commons, Public Domain
Darstellung der Erde und des umgebenden Wassers unter den Sphären der Elemente Luft und Feuer (rot) sowie der Planeten- und Sternensphären (15. Jahrhundert); © Giovanni di Paolo Public Domain

Nicht, dass es zum Teil schon sehr modern anmutende Ansätze gegeben hätte! Es war die ionischen Naturphilosophie begründet durch Thales von Milet (624 – 546 v.Chr) in der griechischen Antike. Sehr modern mutet die Deutung des von dieser Richtung geprägten Xenophanes von Kolophon (570 – 470 v. Chr.) an, der erstmals die Abdrücke von Muscheln und anderen Seetieren in meeresfernen Landstrichen als die Überreste von versteinerten Lebewesen (Fossilien) erklärte. Diese, unter dem Begriff bekannte vorsokratisch Denkschule, wurde ab dem 4. Jh. v. Chr. durch metaphysische Spekulationen der sokratischen Philosophie verdrängt.

Naturwissenschaftliche Ansätze zur Erklärung der Erde finden sich auch immer wieder im christlichen Europa, z.B. bei Leonardo da Vinci (1452–1519) im Codex Leicester oder Niels Stensen (1638–1687), der mit der grundlegenden Erkenntnis, dass die unteren Gesteinsschichten auch die älteren sind, und die darüber lagernden, sukzessive immer jünger, das stratigraphische Prinzip entdeckte. Ansonsten richtete der christliche Mensch, wenn er sich Fragen über den Zustand der Welt machte, seinen Blick eher zum Himmel als auf den Boden. Im Himmel vermutete er, je nach Bildungsstand und Epoche, entweder einen allwaltenden Gott, oder die Anziehungskräfte und Strahlungen der Planeten, die die Berge empor höben, die Meere zurückzögen, oder das Wachstum von Mineralen, Pflanzen und Tieren bewirkten.

Mit dem Vertrauensverlust in die biblische Geschichte schwand die Erwartung vom baldigen Ende der Welt. Die Entdeckung der Erdgeschichte, mit ihren langen und ereignisreichen Zeugnissen, und nachdem Darwin sein Konzept zur Evolution der Arten vorlegte, begann eine neue Vorstellung von der Erde.

Gottfried Hofbauer zeigt in seinem neu erschienen Buch „Die geologische Revolution“ anschaulich, wie sich uns damit die heute selbstverständlich gewordene, nahezu unbegrenzte Zukunft öffnete und macht deutlich, wie wissenschaftliche Erkenntnis das Denken und Lebensgefühl des Menschen nachhaltig verändert.

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