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Tsunami in der Schweiz – gibt es das?

Wir alle wissen seit der Katastrophe vom Dezember 2004 in Indonesien und sicher seit dem März 2011 in Japan, was ein Tsunami ist und dass er als Folge eines Erdbebens auf dem Meeresboden ab einer Stärke von 7.0 Richter-Skala entsteht.

Gibt es auch Tsunamis in Seen und können wir auch in der Schweiz von einem solchen Ereignis überrascht werden? Dieser Frage gingen die Forscher Michael Schnellmann und Flavio Anselmetti von der ETH Zürich nach.

Das Erdbeben, das mitten in der Nacht auf den 18. September 1601 die Zentralschweiz erschütterte, würde man heute als Jahrhundertereignis bezeichnen. Es hatte eine Stärke von 6,2 Richter-Skala. Darauf folgte eine Flutwelle im Vierwaldstättersee. In Nidwalden, wo das Epizentrum lag, zerstörte das Beben Kirchen, Ställe und Häuser. Der damalige Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat beschrieb das «wild gethümmel und wäsen mitt rumplen und boldern» in einem ausführlichen Bericht und hielt darin fest, wie das Wasser wütete. Die Flutwellen waren bis zu vier Meter hoch. Im Küsnachter Becken warfen sie ganze Schiffe aus dem See und deponierten sie „50 Schritt vom Gestade und zwei Hellebarden hoch“ über dem normalen Wasserspiegel an Land. In Luzern versiegte die Reuss sechsmal und schwoll dann wieder an, sodass junge Leute den Fluss in jener mondhellen Nacht fast trockenen Fusses überquerten. Das Wasser des Sees zwischen Bürgenstock, Rigi und Luzern schwappte noch tagelang im 10-Minuten Takt hin und her.

Unterwasser Hangrutsche führten zu dieser Flutwelle

Hangrutsch Grafik       Bathymetrische Karte des Vierwaldstättersee im Vitznaubecken und Chrüztrichter

Links: Schematische Darstellung des Rutschungsablaufs und der Wellenbildung. Rechts: Digitales bathymetrisches Seebodenmodell im Nordosten des Vierwald­stättersees, im Chrüztrichter und Vitznauerbecken. Nordwestlich von Vitznau sowie entlang des Südrands des Vitznauerbeckens unter der steilen Nordseite des Bürgenstocks liegen diverse Felssturzablagerungen. Am Nordrand des Beckens sind Anrisskanten subaquatischer Rutschungen und auch deren Ablagerungen auf dem Beckengrund zu sehen. Der Anriss der Rutschung, welche durch das Erdbeben in der Zentralschweiz im Jahr 1601 ausgelöst wurde, verläuft von Meggen bis östlich von Weggis über eine Entfernung von rund 6 km.  mit Spuren von prominenten Massen­bewegungen und Glazialmorphologien. Bild: Flavio Anselmetti, EAWAG

Ungleich den Tsunamis im Pazifik, wo Kontinentalplatten aufeinandertreffen und der Meeresboden nach einem Erdbeben schlagartig riesige Wassersäulen anheben kann, waren es im Vierwaldstättersee Unterwasser-Schlammlawinen vom Erdbeben ausgelöst, die zu Flutwellen führten. Zudem löste ein Bergsturz am Bürgenstock eine Impulswelle aus. Beweise dafür fanden die Zürcher Forscher durch seismische Messungen und in Bohrkernen, die sie den Sedimenten entnahmen.

Dass es sich dabei nicht um ein einmaliges Ereignis handelte, kann man historischen Berichten entnehmen:

  • 563 n.Chr. sorgte ein Bergsturz am östlichen Ende des Genfersees dafür, dass das Rhonedelta abbrach, in den See abrutschte und einen Tsunami auslöste, der an den Ufern grosse Schäden anrichtete.
  • 1584 zerstörte ein Erdbeben in der Nähe von Aigle im Waadtländer Rhonetal die Dörfer am Nordostufer des Genfersees. Das Beben verursachte auch einen Felssturz, bei dem 320 Menschen umkamen, sowie einen Tsunami, der die Küsten von Villeneuve, Lausanne und Genf überflutete.
  • Am 16. September 1601 löste ein Unterwasser-Erdbeben der Stärke 6 im Vierwaldstättersee gewaltige Wellen aus, welche die Stadt Luzern überschwemmten.
  • 1687 brach das Delta des Muota-Flusses in der Nähe von Brunnen ein und löste einen 5 Meter hohen Tsunami aus, der weite Küstenteile des Vierwaldstättersees unter Wasser setzte.
  • Am 2. September 1806 zerstörte ein Bergsturz am Rossberg in der Zentralschweiz das Dorf Goldau und begrub 457 Menschen. Der östlichste Teil der Felsmassen traf den Lauerzsee und löste einen 15 Meter hohen Tsunami aus. Etwa 10 Menschen fanden in den Fluten am südlichen Ufer des Sees den Tod.

Dies ist wohl der Grund, dass man in der Schweiz die Gefahr eines Tsunamis in die nationale Gefahrenkarte aufgenommen hat!

Interessante Links:
Animation des Tsunamis im Vierwaldstättersee von 1601
SRF – Tsunami am Vierwaldstättersee
Wie entsteht ein Tsunami?

Kommentare(1)

  1. …da mag mann sich nicht vorstellen, was ein Felssturz wie 1991 in Randa (Wallis) , wo 30 Millionen Kubikmeter (!) Fels zu Tal donnerten, am Vierwaldstättersee anrichten würde.

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